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Arbeitsbereich Technik, Naturwissenschaften, Ökologie

FORTSETZUNG DER ANALYSE von Margarete MAURER:

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf... DIE ELTERN" ODER "DER VATER" DER RELATIVITÄTSTHEORIE?

Aus: PCnews, Nr. 48, Jg. 11, Heft 3, Wien, Juni 1996, S. 20-27


Zum Beginn dieses Aufsatzes


Als "ärgerlicher Unsinn" werden alle oben genannten Argumente in einem mehr als halbseitigen Zeit-Artikel des Wissenschaftsjournalisten Albrecht Fölsing bezeichnet, und zwar unter der Überschrift "Keine 'Mutter der Relativitätstheorie'", eine Anspielung auf einen "Emma"-Artikel vom Oktober 1990. Die Debatte um Mileva Maric resultiere allein aus feministischer Voreingenommenheit, behauptet Fölsing, nämlich der, "daß einer Frau in der Männerwelt der Wissenschaft nur schlimmes Unrecht widerfahren konnte" (Die Zeit, 16.11.1990). Die Monographie Desanka Trbuhovic-Gjurics ist ihm "eine eigenwillige Mischung aus belletristischer Erfindung und Pseudodokumentation"; Fölsing behauptet, sie gebe keine Quellen an. "Die Berichtigung aller Fehler würde ein Buch füllen", wirft Fölsing der Autorin vor. Sein 'Beweis' hierfür: "So behauptet die Autorin, der russische Physiker Abraham Joffe schreibe in seinen 'Erinnerungen an Albert Einstein', daß die drei Veröffentlichungen aus dem Jahre 1905 im Original mit 'Einstein-Maric' gezeichnet waren"; als Beleg zitiert Fölsing aus ihrem Buch (S. 79): "Joffe hatte die Originale als Assistent von Röntgen gesehen, der dem Kuratorium der 'Annalen' angehörte, das die bei der Redaktion eingereichten Beiträge zu begutachten hatte." Fölsing behauptet nun, dies sei alles falsch und könne nicht sein, unter anderem, weil in Joffes Buch "Begegnungen mit Physikern" nichts dergleichen geschrieben stehe. Dabei schreibt er ja selbst, daß Trbuhovic-Gjuric als Quelle gerade nicht dieses Buch nennt, sondern sich auf Joffes "Erinnerungen an Albert Einstein" bezieht. Fölsing interpretiert und zitiert sie also falsch. - Dieses zuletzt genannte Buch gibt es bisher nicht in deutscher Übersetzung, wohl aber existiert ein entsprechender Titel in russisch: der 1956 - im Jahr nach Einsteins Tod - von A.F. Joffe herausgegebene Sammelband: "Pamjati Ejnâtejna / Ejnâtejn i sovremennaja fizika", Gosudarstvenoe izdatel´stvo techni'esko-teoreti'eskoj literatury, Moskva 1956 ("Dem Andenken an Einstein - Einstein und die zeitgenössische Physik", Moskau, Staatlicher Verlag für technisch-theoretische Literatur, 1956).(**) - Fölsing behauptet dazu, Desanka Trbuhovic-Gjuric habe "verlauten" lassen, sie habe die Angaben zu Joffes Erinnerungen einer Mikrofilmrolle aus Moskau entnommen, die sie zurückgeschickt habe, "ohne eine Kopie des Artikels anzufertigen, die Indexnummer der Filmrolle oder den Titel der Zeitschrift zu notieren, in der Joffes Artikel erschienen sein soll", und er schließt daraus, "daß diese Geschichte als Erfindung gelten muß." (Hervorhebung d.A.).

Selbst, wenn D. Trbuhovic-Gjuric den Mikrofilm tatsächlich ohne weitere Notizen, und ohne eine Kopie anzufertigen, zurückgesandt haben sollte, so kann daraus nicht geschlossen werden, sie habe alles "erfunden" - und damit also gelogen. Dieser Vorwurf Fölsings sieht eher wie der Versuch einer absichtlichen Rufschädigung aus - er stellt nicht nur schlechten Journalismus dar, sondern auch einen unfairen Umgang mit AutorInnen anderer Meinung. - Außerdem schreibt Fölsing nicht, ob er D. Trbuhovic-Gjuric dazu selbst befragt hat, und er gibt auch sonst keinerlei Quellen für diese seine Behauptungen an. Sie sind darüberhinaus in vielfacher Hinsicht falsch, wie ich aufgrund meiner Recherchen feststellen konnten: die relevante Seite aus der Mikrofilmrolle wurde kopiert (siehe Abbildung), eine Bibliotheksnummer ist vorhanden (Gosudarstvenaja biblioteka SSSR, Moskva, N 6376 / 56124), und die Stelle entstammt nicht einem Artikel, sondern einem Werk des 1914 in Moskau geborenen Wissenschafts-Schriftstellers Daniil Semenovi' Danin zur Geschichte der Atomphysik, "Neizbe?nost´ strannogo mira" ("Die Unentrinnbarkeit einer merkwürdigen Welt"), das 1962 im Moskauer Verlag "Junge Garde" erschienen und mindestens seit 1987 auch in der Bibliothek der ETH Zürich entlehnbar ist. D.S. Danin schreibt darin über Albert Einstein: "Der erfolglose Lehrer, der auf der Suche nach einem passablen Einkommen Sachbearbeiter der 3. Klasse im Schweizer Patentbüro geworden war, dieser noch völlig unbekannte Theoretiker, veröffentlichte 1905 in einem einzigen Band der berühmten 'Annalen der Physik' drei Artikel, die gezeichnet waren 'Einstein-Marity' (oder Maric - das war der Name seiner ersten Frau). Alle drei Arbeiten sind für immer in die Geschichte der Naturwissenschaften eingegangen." (S. 57; russischer Originaltext siehe Abbildung).

Diese Stelle war für Desanka Trbuhovic-Gjuric ein wichtiger Hinweis für die Koautorinnenschaft Mileva Marics. Aus dem Kontext der Stelle, dem dritten Kapitel in Danins Buch, geht hervor, daß sich D.S. Danin auf Gespräche mit Joffe selbst bezieht. D.S. Danin könnte diesen Hinweis von Joffe aber auch aus dem oben genannten Sammelband A.F. Joffes entnommen haben. Sowohl dessen Titel als auch die fotokopierte Mikrofilmseite aus dem Werk Danins hat mir der in Zürich lebende Sohn Desanka Trbuhovic-Gjurics, der Professor für Bauingenieurwesen an der ETH Zürich und am MIT, Ljubomir Trbuhovic, als Quellen zu dieser Stelle über Einstein und Maric angegeben. - Die kopierte Seite aus Danins Werk stellt zwar noch keinen historischen "Beweis" dar, aber mindestens einen wertvollen Beleg, zumal da in Danins Text die ungarische Schreibweise des Namens Mileva Marics, "Einstein-Marity", verwendet wurde, die in der physikgeschichtlichen Literatur sonst nicht üblich ist, aber von Mileva Maric auf wichtigen Dokumenten verwendet wurde. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß Danins Wiedergabe der Erinnerungen Joffes stimmt - woher hätten Joffe und/oder Danin diese Schreibweise haben sollen, wenn nicht aus den Originalmanuskripten? (vgl. Walker 1990). - Den Sammelband Joffes konnte ich leider bisher in keiner europäischen Bibliothek ausfindig machen; vielleicht gelingt dies aber noch und wird weitere Argumente ergeben.

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Zwischenergebnis zu A. Fölsings Artikel: Die Fehler, die Fölsing Desanka Trbuhovic-Gjuric in der "Zeit" vorwirft, macht nicht sie, sondern er. Albrecht Fölsing ist es, der unbewiesene und/oder fragwürdige Behauptungen aufstellt, er ist es, der seine Quellen nicht nennt und der nicht ausreichend recherchiert hat - und dies, obwohl dies gerade von einem Zeit-Journalisten erwartet werden kann. Fölsing hätte (so wie ich) eine Kopie der Seite aus dem Mikrofilm und die genauen Quellenangaben ohne weiteres von Ljubomir Trbuhovic erhalten können. Dieser teilte mir mit, daß Albrecht Fölsing - im Gegensatz zu einer Reihe anderer JournalistInnen, die über Einstein und/oder Mileva Maric recherchiert haben - nie bei ihm und seines Wissens auch nicht bei seiner inzwischen verstorbenen Mutter deswegen angefragt habe (Gespräch in Zürich, im Februar 1992).
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Dort (oder an der ETH) hätte Fölsing außerdem das serbische Original einsehen können und dann festgestellt, daß Desanka Trbuhovic-Gjuric sehr wohl ihre Quellen angegeben hat, diese jedoch vom Paul-Haupt-Verlag nicht alle in die Übersetzung übernommen worden sind. Dennoch sind auch in der deutschen Fassung des Buches genügend Hinweise vorhanden, die deutlich machen, daß die Autorin genau gearbeitet hat: Sie gibt z.B. im Text Quellen an wie "New Yorker Times, 15.2.1944", "Peter Michelmore" (S. 72), "Carl Seelig" (S.74), oder die Namen ihrer Interviewpartnerinnen, wie zum Beispiel: Milana Bota-Stefanovic, Marics engster Freundin in Zürich (S.76), Miâ Sretenovic, und Desana Tapaverica, eine Verwandte von Mileva Maric und Ehefrau des Bürgermeisters von Novi Sad, dem Ort, an dem ihre Familie gelebt hatte.

Hätte Albrecht Fölsing sich während der Arbeit an seiner "umfangreichen Einstein-Biographie" (Die Zeit) auch nur einmal die Mühe gemacht, ein Gespräch mit Prof. Ljubomir Trbuhovic, zu führen, hätte er über die Arbeitsweise der Autorin noch Detaillierteres erfahren können, zum Beispiel: daß sich Desanka Trbuhovic-Gjuric viele Nachmittage lang mit Elisabeth Hurwirtz traf, der Ehefrau des Mathematikers Prof. Hurwirtz, in deren Haus die beiden Einsteins häufig zu Gast waren, und daß sie gemeinsam mit Elisabeth Hurwirtz nach deren Tagebuchaufzeichnungen die entprechenden Textstellen ihres Buches erarbeitete. Fölsing hätte auch erfahren können, daß Desanka Trbuhovic-Gjuric damals noch vorhandene Briefe zwischen Albert Einstein und den direkten gemeinsamen StudienkollegInnen einsehen und auswerten konnte (Ljubomir Trbuhovic, persönliche Mitteilung an d.A.).

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Im Gegensatz zu Fölsings Vorwurf "belletristischer Erfindung und Pseudodokumentation" steht auch, daß die Autorin auf den ersten beiden Seiten ihrer Monographie ihre Arbeitsweise beschreibt und dabei auf die methodischen Schwierigkeiten hinweist, die sich jeder Biographie über Mileva Maric in den Weg stellen: Direkte Aussagen gibt es kaum, denn "Mileva redete nicht von sich... und scheute die Öffentlichkeit." (2. Aufl. 1983, S. 6). "Literaturnachweise über sie gibt es nur wenige, sie widersprechen einander und sind vielleicht auch zu ihrem Nachteil tendenziös." Über ihre Ziele schreibt sie: "Ich trachtete nur, das Anerkannte vom Nichtanerkannten, Unbekannten, ungerechterweise ins Dunkel Beiseitegeschobenen zu scheiden." (S. 5). Sie ist an den meisten Stellen ihres Buches in ihren Behauptungen sehr vorsichtig und überläßt zumeist die Schlußfolgerungen den LeserInnen. Auch schreibt sie explizit, daß es keineswegs ihr Ziel gewesen sei, "die unbezweifelhaften Verdienste der anderen Seite zu bestreiten", wie Albrecht Fölsing ihr unterstellt - im Gegenteil: "Die Schwierigkeit bestand darin, sowohl die Größe des Albert Einstein zuerkannten Schaffens, seinen Ruhm, seine Popularität aufgrund des 1905 Geleisteten, als auch Milevas Mitarbeit daran hervorzuheben." (S.6).

Polemisch und frauenfeindlich ist der gesamte Zeit-Artikel Albrecht Fölsings gehalten. Er referiert auf Mileva Maric zumeist als "Mileva", und auf Albert Einstein als "Einstein". - Mileva Marics Fähigkeiten in Mathematik und Physik bezweifelt Albrecht Fölsing schon deswegen, weil sie zweimal die Diplomprüfung nicht bestanden hat. Hier mißt er mit doppeltem Maß, denn auch Albert Einstein fiel durch Prüfungen, und er mußte zu seiner Doktorarbeit zweimal ansetzten. Fölsing berücksichtigt dabei auch nicht, was die "Collected Papers" an den Tag brachten: daß Mileva Maric bei der zweiten Prüfung schwanger war, und daß diese Schwangerschaft, die sie verheimlichen mußte, letztlich zum Abbruch ihres Studiums führte und darüberhinaus lang wirkende Schatten auf das Leben mit Albert Einstein warf - wie der Einstein-Biograph Peter Michelmore (1962/1968) festgestellt hatte, ohne dies jedoch erklären zu können: "Freunde hatten bemerkten, daß Milevas Haltung sich verändert hatte und meinten schon, die Beziehung zu Albert sei zu Ende. Etwas war zwischen den beiden vorgefallen, doch Mileva sagte nur, es sei 'äußerst persönlich'. Was immer es auch sein mochte, sie brütete darüber, und irgendwie schien Albert daran die Schuld zu tragen." (Michelmore 1968, S.42).

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Den Schmerz und die Trauer über den Verlust ihrer Tochter hat Mileva Maric zeitlebens tief in ihrem Innern vergraben: Das "Lieserl" wurde im Januar 1902 geboren und ist wahrscheinlich zur Adoption freigegeben worden, obwohl Albert Einstein in einem Brief an Mileva Maric vom 12. Dezember 1901 meinte, er wolle nicht, "daß wir es aus der Hand geben müssen. Frag' einmal Deinen Papa, er ist ein erfahrener Mann und kennt die Welt besser als Dein verstrebter, unpraktischer Johonzel." (Dok. 127). Die letzte dokumentierte und bekannte Nachricht über das "Lieserl" geht laut John Stachel aus einem späteren Brief Albert Einsteins hervor: sie habe 1903 eine Scharlach-Erkrankung überstanden (Collected Papers, Einleitung, S. XXXVIII).

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Der Skandal des Zeit-Artikels von Albrecht Fölsing liegt darin, daß eine sonst als seriös geltende große Wochenzeitung damit eine Arbeit veröffentlicht hat, die falsche Beschuldigungen gegen eine Autorin enthält, schlecht recherchiert und von fundamentaler Frauenfeindlichkeit geprägt ist. Hinsichtlich des Autors kann dieser Fall nur durch eine psychologische Hypothese erklärt werden bzw. hinterläßt sein Artikel den folgenden Eindruck über dessen Verfasser: schon durch die bloße Frage, ob eine Wissenschaftlerin an den genialen Entdeckungen Einsteins beteiligt gewesen sein könne, fühlt er sich in seiner Identität bedroht, die auf einer Überidentifikation mit dem Physiker-Idol Albert Einstein und dessen Mythologisierung beruht - dies Idol scheint ihm ihn Gefahr und er schlägt mit verbalen Angriffen um sich.

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Einstein selber war gegen jede übertriebene Verehrung: "Jeder soll als Person respektiert und keiner vergöttert sein. Eine Ironie des Schicksals, daß die andern Menschen mir selbst zuviel Bewunderung und Verehrung entgegengebracht haben, ohne meine Schuld und mein Verdienst." (in: Mein Weltbild, zitiert nach Kollros 1956F, S. 281).

Ob er Mileva Maric solchen Respekt in ausreichendem Maße zuerkannte, nachdem er sich von ihr getrennt und seine Cousine Elsa Löwenthal geheiratet hatte, ist allerdings fraglich; in seiner autobiographischen Skizze von 1955 erscheinen Mileva Maric und die frühen Jahre so: "Dies ausgedehnte Privatstudium war einfach die Fortsetzung früherer Gewohnheit; an diesem nahm eine serbische Studentin teil, Mileva Maric, die ich später heiratete." (in: Seelig 1956, S. 10).
Albert Einstein hat zwei Leben gelebt: eines, in dem Wissenschaft und Liebe eins waren, und das seinen wissenschaftlichen Ruhm und seine Universitätskarriere begründete, und eines, in dem beide Bereiche strikt getrennt waren: seine zweite Frau verstand nichts von Physik - "die erste tat's nämlich!" - wie er betonte. Elsa Einstein legte Wert auf Repräsentation und Ruhm, und sie war eine Repräsentantin desjenigen Teils seiner Familie, der von Beginn an gegen seine Verbindung mit Mileva Maric eingestellt gewesen war: "Sie ist ein Buch wie Du - Du solltest aber eine Frau haben", hatte ihm seine Mutter (Schwester der Mutter Elsa Löwenthals) vorgehalten (Dok 68, 29? Juli 1900).

Sollte es hiermit zusammenhängen, daß nur noch so wenige Briefe von Mileva Maric bekannt sind? Sollte sie nicht nur aus der Familiengeschichte, sondern zu diesem Zweck auch aus der Wissenschaftsgeschichte verdrängt werden, welche sich hier zu ungunsten einer Frau verzahnen? Laut Clark (1981) hat sich Albert Einstein geweigert, bestimmte Details aus seinem früheren Leben (zum "Privatleben" deklariert) bekanntzugeben, und seine Nachlaßverwalter (Helen Dukas und andere) haben "eine ganze Anzahl von Briefen zurückbehalten." (Clark 1981, S.40). Frage: warum taten sie das?

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Es fällt auf, daß die abwertende Berichterstattung über Mileva Maric einerseits auf einige frühe Biographen Albert Einsteins zurückgeht, die sie noch kannten, aber zu gering schätzten oder nicht mochten (Seelig 1954; Frank, englisch 1947/1948, deutsch 1979), andererseits auf diejenigen BiographInnen, die mit Albert Einsteins zweitem Leben in Berlin und in den USA, bzw. mit Elsa Löwenthal und deren Familie, verbunden waren, wie "Anton Reiser" (1930), Pseudonym, in Wahrheit Rudolf Kayser, Ehemann von Albert Einsteins Stieftochter bzw. Elsa Löwenthals Tochter Ilse, und Banesh Hoffmann / Helen Dukas (Mitarbeiter / Sekretärin und Haushälterin); sie hatten zu Mileva Einstein-Maric keine nähere Beziehung hatten und/oder hatten sie nie persönlich kennengelernt (Hoffmann traf Einstein das erste Mal 1935 in Princeton, vgl. Holton/Elkana 1982, S. 401).
Diese beiden Gruppen überschneiden sich: Carl Seeligs "Material baut teilweise auf seiner ausgedehnten Korrespondenz mit A. Einstein, Margot Einstein und Helene Dukas auf." (Pais, S. 49); Margot Einstein war die zweite Tochter Elsa Löwenthals und damit Stieftochter Albert Einsteins, die zeitweise ebenfalls als seine Sekretärin tätig war. Albert Einstein selbst hat diese Art der Öffentlichkeitsarbeit und Konstruktion seiner Biographie unterstützt, indem er die Mehrzahl dieser Werke autorisierte, mit Vorworten versah und/oder die Autoren selbst dazu ermutigte wie im Falle von Phillip Frank. Dem Buch seines Schwiegersohnes Rudolf Kayser ist ein Text von Albert Einstein vorangestellt, in dem es heißt: "Ich fand die Tatsachen des Buches angemessen exakt und seine Charakterisierung durchweg so gut wie es von jemandem erwartet werden kann, der einer Verpflichtung nachkommt, und der nicht mehr ein anderer sein kann, als ich." ("I found the facts of the book duly accurate, and its charakterization, throughout, as good as might be expected of one who is perforce himself, and who can no more be another than I can.", 1930). Lag es in seinem Interesse, wollte er alle Verbindungen zu Mileva Einstein-Maric abschneiden, sie aus seinem und der Nachwelt Gedächtnis verdrängen, analog der Formulierung, die Hoffmann/Dukas für ihren Tod fanden: "In Zürich starb 1948 seine erste Frau, Mileva, wodurch wiederum eine Verbindung mit der Vergangenheit gelöst wurde" (1979, S.284)?

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Die wenigen ZeitzeugInnen und BiographInnen (des Lebens und Werkes von Albert Einstein, Mileva Maric-Einstein oder deren ältestem Sohn Hans Albert Einstein), die ein von dieser Berichterstattung unabhängiges Bild Marics zeichnen oder zu zeichnen versuchen, haben in osteuropäischen Ländern ihre Heimat (Joffe, Elizabeth Roboz Einstein) oder sind direkt Landsleute Marics (Trbuhovic-Gjuric, Krstic), und/oder sie lassen sich Marics Linie als Mutter zurechnen: So war Elizabeth Roboz Einstein, die Dord Krstic in ihrem Buch über Hans Albert Einstein und ihr Leben mit ihm ein eigenes Kapitel über Maric schreiben ließ, die (zweite) Ehefrau von Hans Albert Einstein.

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Status und Bedeutung einer Person sind auch ein Ergebnis sprachlicher Konstruktion. Wie es bei großen Philosophen unterschiedliche Schulen ihrer Anhänger gab, so gibt es hier zwei Schulen, die durch die zwei Familien Einsteins getrennt sind - eine typische Erscheinung für Familiengeschichten nach der Ehescheidung, jedoch auch mehr: die Familiengeschichtsschreibung wird zur Basis der Wissenschaftsgeschichtsschreibung, die polarisierte und bisher vorwiegend negierende und/oder abwertende Imaginierung der Bedeutung Mileva Einstein-Marics behindert die Möglichkeiten angemessener Erforschung, Beschreibung und Erklärung dieses Teils der Physikgeschichte.

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Fazit: es kommt mir nicht so sehr darauf an, ob Mileva Einstein-Maric die spezielle Relativitätstheorie mitgeschaffen hat, und ob ihr die Hälfte des Nobelpreises für Physik von 1921 zugestanden hätte, obwohl eine Vielzahl von Sachverhalten dies wahrscheinlich macht. Selbst die sichere Beantwortung dieser Fragen mit "ja" würde die Bedeutung Albert Einsteins für die moderne Physik nicht schmälern. Aber schon eine hohe Wahrscheinlichkeit kann die Bedeutung Mileva Einstein-Marics in ein angemesseneres Licht rücken. Obwohl weiteres Material möglicherweise noch im Verborgenen existiert, hatte ich deswegen hier nicht den Anspruch, neue Quellen zur Entscheidung dieser Fragen ausfindig zu machen.

Schon aus den vorhandenen Veröffentlichungen, die hier sinnvollerweise "gegen den Strich gelesen" werden mußten, wird meines Erachtens ausreichend deutlich und klar, daß Maric und Einstein mindestens in mathematischen Fragen zusammengearbeitet haben. Diese Tatsache allein sollte schon Grund für eine Neubewertung Marics in der Physikgeschichte sein. In der Mehrzahl der vorhandenen Biographien über Albert Einstein werden aber selbst die vorhandenen Belege ignoriert oder als unwichtig abgetan, Mileva Marics Leistungen und/oder ihre Existenz als Mathematikerin und Physikerin werden totgeschwiegen. Ihre Arbeit wird so systematisch unsichtbar gemacht, nach dem Motto, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Dies entspricht den bekannten Mustern patriarchaler Wissenschafts- und Technikgeschichtsschreibung (vgl. Maurer 1986).

Daß die Quellenlage bisher nicht ausreichend ist, kann nicht als Begründung oder gar Entschuldigung für dieses Verschweigen und Abwerten Mileva Marics und ihrer Leistungen herangezogen werden, denn eine solche Situation ist für historische Untersuchungen nicht ungewöhnlich. Gerade weil sich die Quellenlage als unbefriedigend darstellt, sollten vielmehr die Argumente, die für die substantielle Bedeutung Mileva Marics in der modernen Physik sprechen, beachtet und diskutiert werden. Daß dem bisher einige Barrieren im Wege stehen und allzu häufig eine von vornherein abwehrende bzw. negative Stellungnahme die sachhaltige oder ihr angemessene Diskussion verhindert, hoffe ich mit diesem Beitrag verdeutlicht zu haben. Er soll dazu beitragen, diese frauenpolitisch wichtige und wissenschaftshistorisch interessante Thematik der ernsthaften inhaltlichen Auseinandersetzung (wieder) zugänglich zu machen. Dies ist nicht ohne Bedeutung auch für die Situation und das Selbstverständnis heutiger Naturwissenschaftlerinnen. Denn die Dominanz einer patriarchalischen Perspektive in Wissenschaft und Öffentlichkeit trägt zu einer Atmosphäre bei, die auch für sie nicht förderlich sein kann.

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Den HistorikerInnen ins Stammbuch geschrieben...:

"Beide sind veränderlich: Denken und Tatsachen. Schon darum, weil Denkveränderungen in veränderten Tatsachen sich offenbaren und umgekehrt grundsätzlich neue Tatsachen nur durch neues Denken auffindbar sind."

Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Frankfurt/M. 1980 (stw 312, textidentisch mit der Erstausgabe 1935, S. 69-70)

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Anmerkung

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